Dietmar Hirsch: Den Klassenerhalt so früh wie möglich sichern
Dietmar Hirsch kann bereits auf eine bewegte Karriere zurück blicken. Als Spieler lief er für renommierte Clubs wie den MSV Duisburg, Hansa Rostock oder die Spvgg Unterhaching auf. Als Coach war der UEFA Pro-Lizenz-Inhaber unter anderem beim Drittligisten VfB Oldenburg sowie Teutonia 05 Ottensen aktiv. Wir haben uns für die AM BALL zu den Spielen gegen Schalke 04 und den MSV Duisburg mit ihm zum Interview getroffen.
AM BALL: Wie hast du dich in Bocholt eingelebt?
Dietmar Hirsch: „Ich wurde sehr positiv aufgenommen. Ich hatte in der letzten Saison schon Kontakt mit einigen Verantwortlichen und der Geschäftsstelle. In der vergangenen Spielzeit habe ich mir auch schon viele Spiele angeschaut und konnte dort auch schon die gute Stimmung in Bocholt mitbekommen. Dabei habe ich mich auch schon mit dem ein oder anderen gut unterhalten können. Dadurch habe ich auch gemerkt, dass der FCB ein sehr offener und fannaher Verein ist. Das gefällt mir und daher habe ich mich direkt wohlgefühlt.“
AM BALL: Die ersten Wochen sind rum. Welchen Eindruck hast du bisher vom Team? Wie läuft die Vorbereitung?
„Die Vorbereitung läuft sehr gut. Ein Grund dafür ist, dass wir den Kader fast vollständig im Training haben. Durch den Umbruch ist es auch nicht selbstverständlich, dass man alle neuen Spieler beisammen hat. Dadurch können wir schon die Spielphilosophie und Taktik für die nächste Saison verinnerlichen. Die Jungs ziehen die Vorbereitung mit einer hohen Motivation und Disziplin durch."
AM BALL: Du hast die Spielphilosophie angesprochen. Wie beschreibst du deine Spielphilosophie?
„Meine Spielphilosophie ist sehr laufintensiv. Wir wollen einerseits im Ballbesitz etwas kreieren können und im Umschaltspiel in hohem Pressing agieren. Darauf arbeiten wir in der Vorbereitung auch hin."
Dieses Leistungsprinzip ist für mich sehr wichtig, daher kann es auch nach einem erfolgreichen Spiel Veränderungen in der Startelf geben.
AM BALL: Gibt es Spieler, die sich schon besonders hervorgetan haben oder einen besonders positiven Eindruck hinterlassen haben?
„Die Mannschaft ist derzeit noch sehr homogen. Bisher haben alle Spieler im Training 100% gegeben. Da möchte ich auch niemanden hervorheben. Ich glaube auch, dass wir am Ende von diesem Kollektiv leben müssen.“
AM BALL: Also wird es bei dir viel Rotation geben?
„Wir haben fast jede Position doppelt besetzt und auch Spieler, die mehrere Positionen spielen können. Da herrscht natürlich ein Konkurrenzkampf um die Plätze in der Startelf. Ich finde es auch extrem wichtig, dass die erste Elf die Leistung der sechs bis sieben Trainingseinheiten in der Woche widerspiegelt. Ich würde auch nicht sagen ‘never change a winning team’, da habe ich meine eigene Philosophie. Wir sind im Profifußball, da muss man sich bei der Aufstellung einerseits mit den Gegnern beschäftigen, aber auch die Eindrücke aus den Trainingseinheiten berücksichtigen. Dieses Leistungsprinzip ist für mich sehr wichtig, daher kann es auch nach einem erfolgreichen Spiel Veränderungen in der Startelf geben.“
AM BALL: Womit konnten dich die Verantwortlichen von einem Engagement beim FCB überzeugen?
„Ich komme zwar vom Niederrhein, habe aber noch nie hier in der Umgebung als Trainer gearbeitet. Die Regionalliga West ist für mich auch eine neue Liga, in der ich noch nicht als Trainer tätig war. Ich bin ein sehr offener Typ und ich denke, die Mentalität hier passt gut zu mir. Wir haben in Rheinberg Wurzeln geschlagen und da ich ein Familienmensch bin, passt die Arbeit hier beim 1. FC Bocholt für mich sehr gut. Ich kann jeden Tag den Weg zum Training fahren und habe dadurch auch wieder mehr Zeit für meine Familie und meinen Hund. Das ist dann auch ein guter Ausgleich zum ganzen Fußballalltag. Ich kenne auch Christopher Schorch schon seit Längerem. Wir haben uns viel über die Strukturen und Projekte hier im Verein ausgetauscht und die haben mich überzeugt.“
AM BALL: Wie wichtig glaubst du, wird die Unterstützung der Fans in der kommenden Saison – vor allem in schwierigeren Phasen?
„Das ist total wichtig. Ich finde, unabhängig vom Ergebnis, ist das, was auf dem Platz passiert, besonders wenn das Spiel mit Leben gefüllt ist, wichtig. Dann springt der Funke auf die Tribüne über. Ich möchte, dass sich die Mannschaft so präsentiert, dass man auch nach Niederlagen nicht ausgepfiffen wird, sondern gesagt wird, dass wir dennoch alles gegeben haben. Wenn die Mannschaft alles für die Fans gibt, werden wir in der kommenden Saison eine sehr gute Einheit werden. Dieser Zusammenhalt wird uns auch wichtige Punkte bringen.“
AM BALL: Die Unruhen, die es im Verein abseits des Platzes in der vergangenen Saison gab, spielen entsprechend keine Rolle mehr im Team?
"Der Blick ist bei uns nach vorne gerichtet. Ein großer Teil der Mannschaft ist neu, der Trainer ist neu und im Trainerteam ist nur noch eine Person aus dem letzten Jahr da. Ich kann für die Vergangenheit nichts und möchte mich da auch gar nicht mit beschäftigen. Das, was passiert ist, belastet mich nicht. Wir schauen nur auf die kommende Spielzeit."
AM BALL: Mit dem MSV Duisburg hast du im DFP-Pokalfinale gestanden. Darüber wollen wir dieses Mal ausnahmsweise nicht sprechen. Aber: Wie wäre es denn diese Saison mal wieder mit einem Pokalfinale?
„Ich habe das Halbfinale letztes Jahr gegen Essen im Fernsehen gesehen. Da hat man natürlich mitgefiebert. Ich wusste da ja bereits, dass es mich irgendwie betrifft. Leider hat es ja nicht geklappt. Ich glaube, dass es schon sehr schwer ist, hier ins Pokalfinale zu kommen oder den Pokal zu gewinnen. Es ist aber möglich. Ein bisschen Losglück gehört da auch schon dazu. Klar wäre ein Pokalfinale gut, aber das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir relativ schnell den Klassenerhalt sicher machen. Und Pokal ist dann so ein bisschen Beiwerk. Aber wenn man da die Chance hat, sollten wir auch versuchen, diese zu nutzen.“
AM BALL: Alemannia Aachen scheint sich ja für die kommende Saison ein bisschen als Topfavorit herauszukristallisieren. Wie würdest du nächste Saison die Regionalliga West einschätzen?
„Es ist, glaube ich, schwer zu sagen. Es gibt einige Aufsteiger, aber keinen Absteiger aus der dritten Liga. Die Top-Mannschaft letztes Jahr, die mit Abstand Meister geworden ist, ist raus. Es gibt noch viele Transfer-Bewegungen. Ich sehe das im Moment so: Wir haben hier eine Aufgabe, viele neue Spieler zu integrieren und wir konzentrieren uns einfach wirklich erst mal auf uns. Wir warten jetzt ehrlich gesagt erstmal ab. Wenn der Spielplan rauskommt, dann wissen wir, wo die ersten Gegner sind. Die werden wir dann in den Testspielen wahrscheinlich beobachten. Das werden die anderen mit uns dann auch machen, die gegen uns spielen. Aber im Grunde genommen sind wir und alle anderen jetzt relativ am Anfang der Vorbereitung. Da konzentrieren wir uns wirklich auf uns, versuchen alle zu integrieren, versuchen unsere Spielidee rüberzubringen. Wir haben uns noch nicht direkt mit den Gegnern beschäftigt. Damit beschäftigen wir uns, wenn die Saison losgeht. Daher kann ich noch nicht sagen wer Topfavorit sein kann.“
Wir machen keine Platzierung als Ziel fest oder lehnen uns irgendwo aus dem Fenster. [...] Das Ziel ist primär, den Klassenerhalt so früh wie möglich zu sichern.
AM BALL: Glaubst du, dass die Liga dadurch, dass Preußen Münster jetzt raus ist, noch ausgeglichener wird und die sportlichen Abstände dadurch kleiner werden?
„Ich glaube, bis auf Münster war es letztes Jahr auch schon sehr eng. Da waren Mannschaften, die mal weiter weg waren. Dann sind sie am Ende nochmal in den Abstiegsstrudel reingeraten. Wenn man jetzt rein vom letzten Jahr von den Mannschaften vergleicht, kommen ein paar nach, die auch eine gewisse Qualität haben. Ob es jetzt Wegberg ist, die haben auch schon Erfahrung in der Regionalliga oder Velbert. Das sind ja Mannschaften, die sicher nicht stark abfallen werden. Ich glaube schon, dass es sehr eng wird. Das ist aber auch gut so! Münster hatte letzte Saison weit über zehn Punkte Vorsprung gehabt. Die haben auch zum Ende hin Punkte liegen gelassen, als sie schon den Aufstieg fest hatten. Ob dann Aachen mit einem namhaften Kader wirklich die Qualität hat, auch so einen Vorsprung zu erspielen oder Wuppertal oder Oberhausen um den Aufstieg mitspielen, das weiß man nicht. Es gibt aber auch immer Überraschungsmannschaften.“
AM BALL: Wie würdest du die Rolle des FCB in der nächsten Saison beschreiben?
„Wir machen keine Platzierung als Ziel fest oder lehnen uns irgendwo aus dem Fenster. Ich glaube, wenn man das so liest, was Aachen macht, was Wuppertal macht, ist alles gut so. Wir sind da eher so ein bisschen: Uns lässt man in Ruhe und das ist auch in Ordnung. Es ist wirklich schwer, wenn man so einen Umbruch hat. Ich hatte das auch bei meiner letzten Station in Hamburg. Da weißt du nicht, was auf einen zukommt. Man bekommt natürlich ein Gefühl, aber das ist nach den ersten Wochen in der Vorbereitung noch ein bisschen schwierig. Die richtigen Charaktere der Spieler kommen erst dann zum Vorschein, wenn man wirklich in die Saison startet. Da bin ich auf die Charaktere der Spieler angewiesen und das ist halt immer eine kleine Wundertüte. Das Ziel ist primär, den Klassenerhalt so früh wie möglich zu sichern.“
AM BALL: Welche Entwicklungen hast du als Trainer durchgemacht?
„Ich habe vor allem gelernt, dass man ein bisschen geduldiger sein muss, um die richtige Entscheidung im Fußball zu treffen. Als junger Trainer wollte ich unbedingt auf den Platz. Will ich jetzt natürlich auch, aber damals hat man vielleicht das erstbeste Angebot auch angenommen. Man hat sich gar nicht so mit dem Verein beschäftigt. Hier war es ein bisschen was anderes. Ich konnte mich da wirklich mit Bocholt beschäftigen. Ich konnte mich mit den Verantwortlichen auseinandersetzen. Natürlich muss man sagen, Christopher Schorch ist eine ganz wichtige Person im Verein, die für mich hier auch im sportlichen Bereich jetzt das Sagen hat. Das Präsidium lässt uns eigentlich im Sportlichen in Ruhe, was bei vielen Vereinen so nicht der Fall ist. Da wird rein gesprochen und dann wird es halt chaotisch. Das wollte ich nicht mehr so und habe mich daher für Bocholt entschieden.“
AM BALL: Was machst du in deiner Freizeit als Ausgleich zum Fußball?
„Früher waren es immer die Kinder, aber die sind schon aus dem Haus. Jetzt genießen meine Frau und ich die Zeit allein. Wir gehen gerne mal essen, wir haben einen Hund, mit dem wir spazieren gehen. Ich war bisher bei vielen Trainerstationen immer alleine, weit weg von der Familie. Da war es immer so, dass man dann nach Hause fährt und du musst dich mit Sieg oder Niederlage alleine auseinandersetzen. Jetzt kann ich das mit meiner Frau teilen und wir können uns austauschen, da sie auch fußballbegeistert ist. Sie hat dann oft eine andere Sicht auf die Dinge. Abends sitzen wir oft mit Freunden zusammen zum Grillen oder gehen zusammen zum Schützenfest.“
Vielen Dank für das Interview, Dietmar!