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Foto: Monika Gajdzik

Interview
Montag, 31.03.2025 19:00 Uhr

Patzler: Teil dieser Entwicklung zu sein, ist für mich etwas Besonderes

Sebastian Patzler ist seit Anfang 2024 Teil des 1. FC Bocholt. Als Torwart und mittlerweile auch als Torwarttrainer ist er nah dran am Team, mitten im Geschehen – und voll dabei, wenn es darum geht, etwas aufzubauen. Im Interview spricht der 34-Jährige über prägende Karrierestationen, besondere Spiele und seinen Blick auf den modernen Fußball. Und er verrät, warum Bocholt für ihn mehr ist als nur ein weiterer Verein.

AM BALL: Du hast in deiner Jugend bei Union Berlin, dem 1. FC Magdeburg und Werder Bremen eine erstklassige fußballerische Ausbildung genossen – wie hast du diese Zeit damals im Nachwuchsleistungszentrum erlebt?

Sebastian Patzler: „Man muss ganz ehrlich sagen: Ich weiß gar nicht, ob Union Berlin damals offiziell als Nachwuchsleistungszentrum durchging. Es war auf jeden Fall nicht das Union, das wir heute kennen. Zum Glück hat sich der Verein seitdem großartig entwickelt. In Magdeburg war es dann schon professioneller – da durfte ich als junger Jahrgang direkt in der A-Junioren-Bundesliga spielen. Wir waren gerade aufgestiegen und der damalige Stammtorwart wechselte nach Köln. Dann hatte ich das Glück viele Spiele bestreiten zu können.Über diesen Weg bin ich dann zu Werder Bremen gekommen – und das war natürlich eine komplett andere Welt. Allein die Anlage: so viele Plätze, so eine Infrastruktur! Im Nachhinein wird einem erst richtig bewusst, was für eine besondere Zeit das war. Ich habe damals im Internat direkt im Stadion gewohnt. Ich musste nur über den Flur gehen und konnte ins Weserstadion schauen. Das war zur Hoch-Zeit von Spielern wie Diego, Özil, Pizarro, Naldo, Wiese … Es war einfach eine unfassbare Zeit, die ich nie vergessen werde.“

AM BALL: Du hast im Laufe deiner Karriere viele Trikots getragen. Von Werder Bremen über TuS Koblenz bis Viktoria Köln und darüber hinaus. Welcher Vereinswechsel hat dich am stärksten geprägt – vielleicht sogar in eine neue Richtung gelenkt? 

„Der Wechsel von Berlin nach Koblenz war für mich ein absoluter Glücksfall – nicht nur sportlich, sondern auch menschlich. Mein damaliger Torwarttrainer hat mich wortwörtlich vom Boden aufgerichtet. Ich bin damals aus der Regionalliga in die Oberliga gegangen – für wirklich wenig Geld. Aber mit der Mannschaft den Aufstieg zu schaffen und dann ein Jahr später zu Viktoria Köln zu wechseln, war ein riesiger Schritt. Ein sehr ambitionierter Verein, der unbedingt in die 3. Liga wollte – was der Verein am Ende auch geschafft hat. Auch die fast drei Jahre in Wuppertal waren prägend, mit Höhen und Tiefen. Am Ende kann man tatsächlich sagen, dass es der Wechsel nach Bocholt war, der mich in eine neue Richtung gelenkt hat, weil ich hier den Spagat zum Torwarttrainer geschafft habe bzw. gerade dabei bin, ihn zu schaffen. Aber wenn ich auf meine Laufbahn insgesamt schaue, dann hatte jeder Wechsel etwas Einzigartiges. Jeder hat mich auf seine Weise geprägt."

Ich habe immer versucht, ehrliche Meinungen von Menschen einzuholen, die mich wirklich kennen – als Mensch und als Fußballer.

Sebastian Patzler

AM BALL: Torhüter zu sein bedeutet Geduld, manchmal stehst du im Rampenlicht, manchmal sitzt du auf der Bank. Hattest du in deiner Karriere Momente, in denen du gezweifelt hast? 

„Definitiv. Gerade in der Corona-Zeit hatte ich Probleme, weil mein Vertrag ausgelaufen war. Ich war ein halbes Jahr ohne Verein. Da stellt man sich schon die Frage, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Es gibt Rückschläge und Zweifel, das bleibt nicht aus. Wichtig ist, dass man sich realistisch einschätzen kann. Ich habe immer versucht, ehrliche Meinungen von Menschen einzuholen, die mich wirklich kennen – als Mensch und als Fußballer. Zum Glück hatte ich nie so große Zweifel, dass ich alles infrage gestellt oder aufgegeben hätte. Aber schwierige Phasen gab es auf jeden Fall."

AM BALL: Bislang hast du insgesamt über 250 Spiele in der Regionalliga absolviert – die meisten davon in der Regionalliga West. Besonders prägend war sicher deine Zeit beim Wuppertaler SV, für den du 104 Mal im Tor standest. Gibt es einen Moment aus dieser Zeit, der dir bis heute besonders unter die Haut geht?

„Mit Wuppertal gab es schon ein paar Highlights, die mir unter die Haut gegangen sind! Unvergessen ist das Topspiel im Pokalhalbfinale gegen den MSV Duisburg – leider während der Corona-Zeit und damit vor nicht so vielen Zuschauern. Wir haben den damaligen Drittligisten mit 6:2 geschlagen. Danach haben wir das Pokalfinale gegen den SV Straelen gewonnen, was auch ein emotionaler Höhepunkt war. Am meisten Gänsehaut hatte ich aber ein Jahr später beim Pokalhalbfinale gegen Rot-Weiss Essen – über 10.000 Zuschauer im Stadion am Zoo, wir gewannen 3:1, und ich durfte am Ende in die Kurve. Ich weiß, dass die Bocholter das nicht so gerne hören, aber das war für mich ein Moment, der mir unfassbar viel bedeutet hat.“

AM BALL: Seit deinem Wechsel zum 1. FC Bocholt arbeitest du in einer Mannschaft mit vielen interessanten Charakteren auf dem Platz. Was hat dich an diesem Projekt gereizt und welche Vision hast du mit dem Verein?

„Mein Wechsel war zunächst rein sportlich motiviert. Die Zeit in Wuppertal endete nicht besonders schön und ich wollte einfach wieder Spaß am Fußball haben. Ich hatte noch losen Kontakt zu Christopher Schorch, den ich aus Wuppertal kannte und so kam der Austausch zustande. Bocholt stand im Winter auf Platz 1 der Regionalliga West und hatte realistische Chancen auf den Aufstieg. Das hat mich gereizt – auch wenn klar war, dass Lucas Fox die Nummer eins ist und ich ihn unterstütze, wo ich kann. Der Aufstieg hat am Ende nicht geklappt. Seit dieser Saison bin ich in einer Doppelfunktion tätig – Spieler und Torwarttrainer. Und ich sehe hier in Bocholt riesiges Potenzial. Wenn man mal rauszoomt, erkennt man: Es passiert viel – sportlich und drumherum. Teil davon zu sein, ist für mich etwas Besonderes. Jeder kann sich in ein gemachtes Nest setzen, aber etwas selbst mit aufzubauen, ist nochmal etwas anderes. Auch wenn ich als Torwarttrainer nur einen kleinen Teil dazu beitrage. Und wenn man dann mit so einem Typen wie Lucas zusammenarbeiten darf, der gerade wieder bei der Nationalmannschaft war, macht das einfach Spaß. Klar, die Saison lief nicht wie erhofft. Aber auch Rückschläge gehören zur Entwicklung. Wichtig ist, daraus zu lernen.“


Als Torwarttrainer füllt Sebastian Patzler eine Doppelrolle aus. Foto: Monika Gajdzik

AM BALL: Die Rolle des Torwarts hat sich in den letzten Jahren enorm verändert. Wie hat sich dein Spielstil über die Jahre entwickelt und welche Fähigkeiten machen heute einen modernen Keeper aus?

„Man muss ganz klar sagen: Viele Aktionen eines Torhüters im modernen Fußball finden heute mit dem Fuß statt. Trotzdem bleibt das Wichtigste natürlich, den Ball zu halten. Wer im heutigen Spitzenfußball bestehen will, muss beides beherrschen – das klassische Torwartspiel und den sicheren Umgang mit dem Ball am Fuß. Das ist mittlerweile ein fester Teil des Anforderungsprofils. Maßgeblich geprägt hat das sicher Manuel Neuer, der mit seiner Spielweise eine ganz neue Dimension eröffnet hat. Ich selbst war schon immer ein Keeper, der gerne Fußball gespielt hat. Gleichzeitig habe ich es aber immer geliebt, Bälle zu halten – deshalb hat sich mein Spielstil im Kern nicht groß verändert. Was ich über die Jahre versucht habe, ist Verantwortung zu übernehmen, mutig zu sein, wenn es die Situation erfordert. Mich hat man auch schon an der Mittellinie einen Ball weggrätschen sehen – so bin ich halt einfach.”

AM BALL: Torwart zu sein bedeutet oft: Letzte Instanz, viel Verantwortung. Macht dir das mehr Druck oder gibt es dir Kraft?

„Ganz klar: Es gibt mir Kraft. Ich habe mich dieser Verantwortung nie entzogen. Natürlich gab es viele Wortspiele mit meinem Namen, das bleibt nicht aus. Am Ende bist du entweder der Held oder der Depp der Nation, je nachdem, wie das Spiel läuft. So sehen das die Fans, die sich das Spiel anschauen und das soll auch weiter so bleiben. Einer meiner wichtigsten Coachingpunkte, die ich auch Lucas immer wieder mitgebe, lautet: Wir können nicht alles beeinflussen, aber wir können entscheiden, wie wir auf Dinge reagieren. Fehler passieren, aber unsere Reaktion darauf liegt in unserer Hand. Wenn uns das gelingt, zu verstehen bestmöglich mit den Fehlern umzugehen, dann haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht.“

Positiv. Verrückt. Zwei Wörter, die mich als Fußballer perfekt beschreiben.

Sebastian Patzler

AM BALL: Du hast in deiner Karriere viele Höhen und Tiefen erlebt. Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen, wenn du heute noch einmal als Nachwuchsspieler anfangen würdest?

„Sei dir deiner Situation bewusst und nutze jede Chance. Die Chancen werden kommen, aber es ist wichtig, dass du besser vorbereitet bist und sorgsamer mit ihnen umgehst.“

AM BALL: Wenn du heute keine Nummer auf dem Rücken hättest, sondern Wörter, die dich beschreiben, was würde da stehen ? 

„Positiv. Verrückt. Zwei Wörter, die mich als Fußballer perfekt beschreiben.“

AM BALL: Danke für das Gespräch, Patze!

Das Interview wurde nach dem Spiel gegen die U23 von Borussia M'gladbach für die AM BALL gegen den Wuppertaler SV geführt.